Das Dilemma der Wahrheit - Beruf und Familie
- Viktoria Mazurs-Sawall
- 2. Dez. 2024
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Jan.
Vor einigen Monaten war ich Teil eines Projektteams und suchte nach einer passenden Fachkraft für ein deutsches Unternehmen. Schließlich stieß meine Kollegin auf eine vielversprechende Bewerberin – eine Frau mittleren Alters, bestens qualifiziert und bereit für die Herausforderung. Auch unser Kunde war zunächst begeistert.
Das Unternehmen stellte sich selbst als familienfreundlich dar, betonte seine moderne Arbeitsweise und versprach Flexibilität – Schlagworte, die heute auf vielen Karriereportalen zu finden sind.
Doch dann äußerte die Bewerberin den Wunsch, ihr Kind täglich aus dem Kindergarten abzuholen. Daraufhin stellte der Kunde die Gespräche ein – trotz ihrer fachlichen Eignung.
Der Grund: Die Position erfordere absolute Flexibilität, auch für spontane Termine. Aus Sicht des Unternehmens schien dies mit den Verpflichtungen einer Mutter unvereinbar. Schließlich hat das Unternehmen wiederum Verpflichtungen seinen Kunden gegenüber.
Von Euphorie zur Absage
Nach dieser Bitte wurde alles anders. Der Kunde brach die Gespräche ab, obwohl die Bewerberin fachlich gepasst hätte. Warum?
Für mich persönlich war das ein frustrierender Moment. Nicht nur, weil die Kandidatin so viel Potenzial mitbrachte, sondern auch, weil ich zu dem Zeitpunkt schwanger war und ihre Situation deshalb auch persönlich aus einer ganz besonderen Perspektive zusätzlich betrachtete. Es fühlte sich für mich an wie ein Stich ins Herz.

Das Dilemma der Wahrheit
Besonders frustrierend war, dass wir der Bewerberin den wahren Grund für die Absage nicht nennen durften. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt Bewerbende vor Diskriminierung und verbietet es, Absagegründe mitzuteilen, die auf private Umstände wie z.B. die Elternschaft hinweisen. Stattdessen mussten wir allgemein bleiben und durften der Kandidatin nicht sagen, dass ihr Wunsch der ausschlaggebende Faktor für die Absage war. In der Praxis sorgt das AGG dafür, dass wir als Vermittler stets diplomatisch bleiben müssen.
Flexibilität – leeres Versprechen vom Arbeitgeber?
Diese Erfahrung hat mich nachdenklich gemacht. Unternehmen werben oft mit Flexibilität und modernen Arbeitsmodellen – doch wenn es darauf ankommt, stoßen persönliche Bedürfnisse zunächst auf wenig Verständnis. In diesem Fall verlor der Kunde nicht nur eine qualifizierte Fachkraft, sondern vergab auch die Chance, Vielfalt und soziale Kompetenzen in sein Team zu bringen. Steht dies etwa im Widerspruch mit der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens und der Zufriedenstellung dessen Kunden?
Ein persönlicher Ausblick
Als frischgebackene Mutter frage ich mich: Wie wird mein beruflicher Weg mit Kind aussehen? Kann ich den Anforderungen meiner Kunden gerecht werden und gleichzeitig die Bedürfnisse meiner Familie erfüllen? Diese Fragen betreffen nicht nur mich, sondern viele Eltern. Auch frage ich mich, was wir im Projektteam als Vermittler hätten besser machen können, so zum Beispiel detaillierterer Klärung dieses Punktes, der täglichen und spontanen physischen Verfügbarkeit.
Ein Appell zum Nachdenken - Beruf und Familie
Zum Abschluss möchte ich dazu ermutigen, innezuhalten und zu reflektieren: Hätte es nicht doch eine Lösung geben können, die für beide Seiten funktioniert? Vielleicht sind wir manchmal zu schnell dabei, potenzielle Hindernisse als unüberwindbar zu betrachten, statt nach Alternativen zu suchen.
Meine Hoffnung ist, dass wir uns in der Arbeitswelt weiterentwickeln – hin zu einer Kultur, die nicht nur Fachwissen, sondern auch die Vielfalt der Lebensrealitäten anerkennt und wertschätzt. Denn nur so können wir wirklich die besten Talente für unsere Teams gewinnen. Und ich bin mir gewiss, dass Unternehmen auch damit gut wirtschaften könnten.
Kommentare